Thüringer NPD auf dem Weg ins Desaster – Putsch gegen Wieschke läuft

Die Wahlen sind gelaufen, die NPD verfehlte mit 3,6% den Einzug in den Thüringer Landtag deutlich – eine grandiose Niederlage. Innerhalb der extrem rechten Partei brodelt es heftig. Der Putsch gegen Wieschke läuft, während dieser weiter „Normalität“ vorgaukelt.

Von wegen „professioneller Wahlkampf“

NPD-Schulungsleiter Kevin Schulhauser auf Facebook (25.9.2014)

NPD-Schulungsleiter Kevin Schulhauser auf Facebook (25.9.2014)

Eine „Materialschlacht sondergleichen“ kündigte die NPD mit 50.000 Plakaten an und in den letzten zwei Wochen vor der Landtagswahl waren in der Tat zahlreiche Laternen in thüringer Gemeinden mit NPD-Werbung zugepflastert. Doch die Propaganda-Offensive fällt der NPD nun auf die Füße. Zwar hatte man ein umfangreiches Konzept zur Verteilung, rekrutierte bezahlte Verteiler-Teams aus der Thüringer Neonazi-Szene, aus anderen Bundesländern und zum Teil auch aus dem Ausland (Spanien), aber an einem Punkt hatten die Strategen des Thüringer Landesvorstandes geschlafen, die Planung der Nach-Wahl-Phase. Die Mitglieder des Landesvorstandes wähnten sich wochenlang siegessicher, erhofften sich den Einzug in den Thüringer Landtag und einen volleren Geldbeutel, doch am Wahlabend erzielte die Partei mit 3,6% ein noch schlechteres Ergebnis als 2009 (4,3) und katapultierte die NPD-Funktionäre zurück auf den Boden der Tatsachen. Wieschke gab nach Sichtung des Ergebnisses an, „traurig“ und „enttäuscht“ zu sein. Die Folgen der teilweise eingetreten Frustration sind spürbar: Die Niederlage der Partei lässt nun nach der Wahl auch die Mobilisierung der Neonazis schwächeln, um die 50.000 Plakate wieder von den Laternen zu holen. Wer derzeit durch Thüringen fährt, findet auch zwei Wochen später in vielen Gemeinden nach wie vor NPD-Plakate. Die meisten Kommunen verfügen über 1-wöchige oder 2-wöchige Fristen, in denen die Plakate abgehangen werden müssen. Da dies vielerorts bisher nicht geschah, wurde in mehreren Orten damit begonnen, die Plakate kostenpflichtig zu entfernen. Nicht nur weil der NPD einige Wahlkampf-Helfer abhandengekommen sind, auch, weil viele Plakatiertrupps sich weder notiert noch gemerkt haben, an welchen Stellen die Plakate angebracht wurden, führt die Nachwahl-Phase nun zum Chaos in der neuen Eisenacher Parteizentrale. Die Partei hatte sich anfangs gerühmt, 200.000 Euro locker gemacht zu haben, mitunter aus Spendengeldern und Krediten von Sympathisanten und Parteimitgliedern, doch Teile davon könnten nun auch für Bußgelder fällig werden. Kevin Schulhauser, Gründer und Betreiber des „Nationalen Bildungswerk Ronneburgs“, kritisierte die Organisation nach der Wahl auf Facebook: „Es wurde bei der Wahlkampfplanung einfach massiv geschlampt. Ich habe bereits einige Wahlkämpfe mitgemacht. Nicht nur in Thüringen, auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin. Selten habe ich so viele Fehler und eine so unprofessionelle Organisation erlebt. Die massiven Fehler der Führung müssen nun analysiert werden und die Verantwortlichen müssen die notwendigen Konsequenzen aus ihren [sic] Versagen ziehen.“ Der 25-jährige Heilerziehungspfleger mit guten Kontakten zur Bundesspitze war bisher Schulungsleiter der Thüringer NPD aktiv, gehört zum Wieschke-kritischen Flügel und hat nach Eigenangaben bereits Ende 2013/Anfang 2014 auf eklatante Konzeptfehler innerhalb der Thüringer NPD hingewiesen. Nicht nur die AfD und organisatorische Schwächen seien heute für das Scheitern der NPD in Thüringen verantwortlich, sondern vor allem die Personalie Patrick David Wieschke. Schuld seien dessen schlechte Führungskompetenz, die Verwicklung in zahlreiche Affären und mangelndes Rückgrat. Wie schon Roy Elbert, der Anfang des Jahres aus dem Landesvorstand zurückgetreten war, greift Schulhauser die geringe Mitbestimmung der Mitglieder und den diktatorischen Führungsstil Wieschkes an. Der Konflikt von Wieschke und Schulhauser ist bereits älter und dürfte auch mit Gerüchten zu tun haben, die Wieschke über Schulhauser in der Partei gestreut haben soll.

Zwist mit „Freien Kräften“

Von der Vergangenheit eingeholt - Wieschkes schmutzige Geheimnisse veröffentlicht

Von der Vergangenheit eingeholt – Wieschkes schmutzige Geheimnisse veröffentlicht

Kurz vor der Wahl hatten wir hier zwei Polizeiakten veröffentlicht, in denen es um Ermittlungen gegen den heutigen NPD-Landesvorsitzenden Patrick David Wieschke wegen Missbrauch eines Kindes, dem Verprügeln seiner Mutter und der Misshandlung der eigenen Schwester ging. Ein früherer Eisenacher Polizeichef bestätigte gegenüber dem MDR die Echtheit der Akten und die Dokumente schlugen Wellen. Auch innerhalb der Neonazi-Szene. Wieschke bemühte sich um Schadensbegrenzung und ergriff Gegenmaßnahmen, leugnete zunächst die Vorwürfe und erklärte ein frühreifes Mädchen hätte sich an in herangemacht. Eilig ließ er sich für Facebook mit Kindern fotografieren und die NPD erklärte gar nach der Landtagswahl in Erfurt eine Immobilie kaufen zu wollen, um einen „kostenlosen Kindergarten“ einzurichten. Unterstützer platzierten auf Szene-Seiten wie Altermedia Gegendarstellungen und betrieben eine Täter-Opfer-Umkehr, so heißt es in einem Pamphlet z.B.: „Was macht eine 12jährige mitten in der Woche, nachts um 3 Uhr, draußen?“. Viele die sonst immer eifrig „Todesstrafe für Kinderschänder“ fordern stellten sich schützend vor Wieschke. Doch ein Teil der Szene blieb weit weniger unkritisch: Der Hamburger Neonazi Christian Worch, einstiger Mistreiter von Wieschke und Gründer der Partei „DIE RECHTE“ vollzog den Dammbruch und erklärte öffentlich, dass er dem damals 12-jährigen Opfer mehr Glauben schenke als Wieschke. In seiner Begründung brachte er erstmals auch den Vorwurf gegen Wieschke vor, dieser habe Ende der 1990er seine Mutter verprügelt, weshalb eine Demonstration abgesagt worden sei. Noch vor der Wahl gingen dann auch Anhänger der „Freien Kräfte“ aus Thüringen weiter auf Abstand zu Wieschke. Das „Freie Netz Kahla“ und das „Freie Netz Saalfeld“ verbreiteten die geleakten Akten weiter. Das „FN“ in Kahla agiert seit den Kommunalwahlen 2014 auch als „NPD Kahla“, Anhänger zogen über die Partei in den Stadtrat und Kreistag ein. Auf der Facebook-Seite von „NPD Kahla/SHK“ wurden die Akten am 13. September mit dem Hinweis verlinkt, dass sich „jeder mal ein Bild vom sogenannten Spitzenkandidaten Patrick Wieschke“ machen könne. Die beiden FN-Gruppen betreiben maßgeblich die Solidaritätsarbeit für den mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben. Wieschkes wahlkampftaktische öffentliche Entsolidarisierung von Wohlleben in den Wochen vor der Wahl dürfte ihr übriges zum bestehenden Zwist beigetragen haben. Wenige Tage nach Worchs Vorwürfen veröffentlichte Thüringen Rechtsaussen die Ermittlungsakte zu den schweren Taten, denen Mutter und Schwester Wieschke ausgesetzt waren. Zu den neueren Vorwürfen folgte nicht einmal mehr ein Dementi von Wieschke. Mittlerweile fordern NPD-Kader bundesweit (u.a. Sachsen, Hessen, Hamburg, Bayern) den Rücktritt Wieschkes von all seinen Ämtern.

Zum Download der Akte Wieschke: Kindesmissbrauch

Zum Download der Akte Wieschke: Verprügelte Mutter und misshandelte Schwester

Ermittlungsakten kosten Ämter auf Bundesebene

Nach 3 Jahren als Bundesorganisationsleiter endete Wieschkes Karriere auf Bundesebene am 19. September 2014 (Mitteilung des Parteivorstandes)

Nach 3 Jahren als Bundesorganisationsleiter endete Wieschkes Karriere auf Bundesebene am 19. September 2014 (Mitteilung des Parteivorstandes)

Mit der Wahlschlappe am 14. September wuchs auch die Anzahl derjenigen im Wieschke-kritischen Lager, welche ihren Frust öffentlich machten. Die Barrieren des Wahlkampfes sind nun gefallen und Wieschke scheint auch partei-intern zum Abschuss frei. Die NPD erklärte, dass man auf einer Landesvorstandssitzung am 18. September entscheiden werde, „welche Schlüsse aus der Landtagswahl zu ziehen sind“. Noch ehe diese stattfand, meldete sich auch der NPD-Bundesvorsitzende Udo Pastörs zu Wort, sprach von einer „regelrechten Hetzkampagne“ gegen die NPD und warnte vor der vorschnellen Verurteilung Wieschkes. Mit einem Maulkorb versuchte er weitere Funktionsträger von öffentlichen Statements abzuhalten, nachdem bereits NPD-Vizechef Karl Richter den Thüringer Landesvorsitzenden Wieschke zu einer internen Erklärung aufforderte und auch andere Neonazis Schwierigkeiten hatten, sich zu bremsen. Innerhalb des Parteivorstandes soll es bereits nach Aufstellung Wieschkes zum Spitzenkandidaten Bauchschmerzen bei einigen gegeben haben. Auch außerhalb des NPD-Präsidiums haben mehrere bundesweit bekannte Funktionäre Stellung gegen Wieschke bezogen, darunter etwa Dieter Riefling und Thomas „Steiner“ Wulff. Wulff dürfte mit Wieschke ohnehin noch eine Rechnung offen haben, da der Eisenacher Wullffs Ausschluss aus der Partei forderte und bei den Ausschlussverfahren als eine der treibenden Kräfte galt. Bei der Sitzung des Thüringer Landesvorstandes (18. September) wurde Wieschke dann das Vertrauen ausgesprochen. Wieschke könne weiterhin NPD-Landesvorsitzender bleiben, musste aber aufgrund des entstandenen Drucks ein Opfer bringen. Mit einer Presseerklärung kündigte der Landesvorstand am Folgetag an, dass Wieschke Fehler eingeräumt und sich entschuldigt habe, die Ermittlungen wegen Kindesmissbrauch und dem Verprügeln der eigenen Mutter verschwiegen zu haben. „Aus seinem Fehlverhalten zieht Wieschke dennoch die Konsequenz. Am Wochenende wird er als Mitglied des NPD-Parteipräsidiums und des Parteivorstandes zurücktreten“, heißt es in der Stellungnahme. Beim Zusammentreffen der Bundesspitze am darauf folgenden Wochenende gab Wieschke seine Bundesämter auf. Doch der Schritt geht einigen nicht weit genug, welche die Gesamtumstände und das Verhalten Wieschkes als parteischädigend und menschlich verwerflich einstufen. An verschiedenen Ecken und Enden läuft die Diskussion über den Landesvorsitzenden weiter. Auch die eigene sich gerade wieder reorganisierende Jugendorganisation, die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in Thüringen, positionieren sich mittlerweile klar gegen Wieschke.

Wieschke soll gehen

Als Nachfolger für Wieschke zum neuen Thüringer NPD-Landesvorsitzenden im Gespräch: Kevin Schulhauser aus Ronneburg und Thorsten Heise aus dem Eichsfeld

Als Nachfolger für Wieschke zum neuen Thüringer NPD-Landesvorsitzenden im Gespräch: Kevin Schulhauser aus Ronneburg und Thorsten Heise aus dem Eichsfeld (Bewerberfotos der beiden bei vergangenen Wahlen)

Die Stimmen, die Wieschkes Rücktritt fordern, sind zahlreich. So äußerte etwa der sächsische Vize-Landeschef der NPD, Maik Scheffler, er habe „für viele Sachen Verständnis, gerade für Jugendsünden aber es gibt unüberschreitbare Grenzen“. Im Bundesvorstand wurde „dahingehend ja schon ein richtiger Schritt getan, was vielleicht der Bundespartei helfen mag, aber sicherlich nicht Thüringen“, so Scheffler weiter. Die Partei müsse ja „nicht selbst durchgreifen, wenn unsere Kandidaten den nötigen Anstand im Leib tragen würden und mit Würde und Ehre ihre Konsequenzen selbst ziehen würden“ so Scheffler, der damit Wieschke quasi völlig de-legitimiert.

Während Wieschkes engste Vertraute nach wie vor zu ihm stehen, soll es auch innerhalb des Thüringer Landesvorstandes schon Brüche geben. Für Monique Möller, Landesvorsitzende vom „Ring nationaler Frauen“ und Beisitzerin im Landesvorstand, ist Wieschke kein geeignetes Aushängeschild mehr, um sich als Partei für Kinder und Familien zu präsentieren. Auch andere RNF-Mitglieder sollen erhebliche Vertrauensverluste gegenüber Wieschke haben und in einigen Kreisverbänden seien Konflikte um die Personale Wieschke ausgebrochen. Das am 18. September formal ausgesprochene Vertrauen diene mehr der vorläufigen Schadensbegrenzung, man wolle Ende 2014 oder Anfang 2015 einen Landesparteitag durchführen, auf dem der Landesvorstand dann neu gewählt werden soll. Wie aus Szenekreisen zu hören ist, wird bereits über Wieschkes Nachfolge diskutiert, obwohl dieser „weiter am Stuhl kleben möchte“. Auch der ehemalige FAP-Funktionär Dieter Riefling schaltete sich am 1. Oktober ein und warb öffentlich für Thorsten Heise, der gleichermaßen als neuer Bundes- wie auch als Landesvorsitzender in Betracht käme. „Denn der jetzige Landesvorsitzende in Thüringen ist nicht mehr tragbar. Und ein Thorsten Heise der einzige mögliche Kandidat für diesen Posten“ so Riefling. Wieschke könnte im Notfall, wenn alle Stricke reißen, jedoch selbst auch seinen engsten Weggefährten, Landesgeschäftsführer und politisches Ziehkind Tobias Kammler zum Kandidaten vorschlagen, um somit unverändert den Landesvorstand nach seinen Interessen weiter zu lenken.

Öffentliche Kritik von NPD-Funktionären im Internet - Mit "innerparteilicher Reinigungsmaßnahme" soll Wieschke entfernt werden

Öffentliche Kritik von NPD-Funktionären im Internet – Mit „innerparteilicher Reinigungsmaßnahme“ soll Wieschke entfernt werden

Nicht ohne Grund scheint der anstehende Landesparteitag sehr weit nach hinten verschoben wurden zu sein. Vielleicht ist es auch der Versuch, Gras über die Sache wachsen lassen zu wollen. Ähnlich wie bei der Spaltung des Landesverbandes 2008 könnte die amtierende Führungsspitze aber auch vor dem offiziellen Parteitag wieder geheime Schatten-Treffen veranstalten, zu denen selektiv nur die Wieschke-Befürworter und noch nicht ganz verloren gegangene Zweifler für den Machterhalt eingeladen werden, um die Kritiker im Verband zu isolieren oder diese zu beschädigen. Beim letzten großen Führungsstreit in der Thüringer NPD endeten solche Manöver, sowie auch der Versuch alle Kräfte vermeintlich diplomatisch zu einem Krisentreffen wieder einzufangen, bereits in einer Schlammschlacht. Doch auch auf dem im November angekündigten Bundesparteitag der NPD dürften die Enthüllungen Thema sein. Dass dieser auch wieder in Kirchheim bei Erfurt stattfinden könnte, sei hier nur beiläufig erwähnt.

Gewaltdrohungen und Machtkämpfe um neuen Thüringer Landesvorstand

Ex-AfD Mitglied und NPD-Funktionär David Köckert aus Greiz

Ex-AfD Mitglied und NPD-Funktionär David Köckert aus Greiz: Wieschke-Kritiker „ein paar reinhauen“

Die Nervosität des Wieschke Lagers scheint dabei stetig zu wachsen und auch vor Beleidigungen und Gewaltandrohungen gegen „Kameraden“ gibt es offenbar kein Halten mehr zu geben. So wurde NPD-Stadtrat und FN-Mitglied David Buresch aus Kahla vom Nordhäuser NPD-Funktionär Denis Witzenhause als „Scheiss Hetzer“ beschimpft und ihm ein Austritt aus der Partei nahegelegt. Schulhauser wurde gar vom Greizer NPD-Kreisvorsitzenden David Köckert bedroht, wie er berichtet. Köckert habe angekündigt, ihm „ein paar reinhauen“ zu wollen. Doch auch aus dem Lager der Wieschke-Gegner wird scharf geschossen. Am 17. September 2014 veröffentlichte der Hamburger NPD-Landesvorsitzende Thomas „Steiner“ Wulff eine Abrechnung mit der NPD, in der er von einer geplatzten „Wieschke-Blase“ spricht und Wieschke ein Verhalten attestiert, welches dem „Wadenbeißen eines Pinschers“ ähnelt. Patrick Wieschke selbst bemüht sich nun um Flickschusterei. Statt die Karten offen auf den Tisch zu legen, scheint Wieschke alle Probleme und Kritiken einfach zu ignorieren. Statt parteiintern ausführlich Stellung zu beziehen und sich zu erklären, organisiert Wieschke weiter Parteiveranstaltungen. Ein Konzert mit Frank Rennicke, eine Bürgersprechstunde und weitere Aktionen. Der Stuhl auf dem Wieschke sitzt scheint mehr als nur klebrig.